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Der "fremde" Schnüffler im Vergangenen

Drackenstedt, den 30. 07. 2016

"Drackenstedter Dorfgeschichte(n)" vom 16. bis zum 20. Jahrhundert dokumentiert Ruheständler Volker Limburg in drei Bänden.

 

Es ist ein buchstäblich schwer wiegendes Werk, das Volker Limburg nun zu Ende gebracht hat. 7,1 Kilogramm zeigt die mit allen drei Bänden bepackte Waage an. „Wir und der Postmann kamen ganz schön ins Schwitzen, als die erste Auflage von 25 Exemplaren, also 75 Bücher, hier eintraf“, schmunzelt Limburg. „Ich bin froh, dass das Projekt jetzt abgeschlossen ist“, schiebt der 67-Jährige hinterher.

In den rund 1800 A4-Seiten stecken fünf Jahrhunderte Drackenstedter Geschichte(n), womit sich der Titel des Werks selbst erklärt, sowie 17 Jahre Recherche, Erfassung und Ausgestaltung Limburgs: „Ich habe seit 1999 daran gearbeitet. Angefangen hat es mit einem Rechnungsbuch von 1572, einer Niederschrift des damaligen Pastors über Einnahmen und Ausgaben.“

Und dann sei der Kriminalist in Limburg durchgedrungen. Nun ja, er ist in der Beziehung sozusagen berufsbedingt vorgeschädigt – wohlgemerkt im positiven Sinne. „Es ist wie ein Kriminalfall“, sagt der ehemalige Leiter des Landeskriminalamts und des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, „fängt man einmal an und stößt auf Spuren, dann lässt es einen nicht mehr los. Es öffnen sich immer neue Türen, man dringt tiefer und tiefer vor, verknüpft Dinge und Personen miteinander und kann nicht mehr aufhören.“ Geschichte werde ganz ohne die heutigen Vorzüge von Fotos und Videoaufzeichnungen in den Schriften lebendig.

Die Verwunderung Außenstehender darüber, dass ausgerechnet ein „Ortsfremder“, noch dazu ein aus den alten Bundesländern zugezogener, die bislang üppigste zeitgeschichtliche Kompilation über ein unscheinbares Bördedorf vorlegt, verwundert wiederum den Verfasser selbst. Mit dem „Ossi-Wessi-Gehabe“ kann Limburg ohnehin nicht viel anfangen. Seit 1992 ist er in Drackenstedt, genauer gesagt ganz nahe bei Drackenstedt zuhause – in der Siedlung am Bahnhof. Rein kommunalpolitisch gesehen, ist er somit ein Dreileber. Für Limburg ist auch das in Bezug auf sein Mammutwerk wenig von Belang. Er stellt schlicht fest: „Mich verbindet mit Drackenstedt und den Einwohnern sehr viel, und für eine solche Arbeit sind letztlich nur eine gewisse Neugier und Leidenschaft erforderlich.“

Unter dem (kriminalistischen) Leitsatz „Cui bono?“ (Wem nützt es?) geht Volker Limburg im Vorwort von Band eins ausführlich auf „die berechtigterweise gestellte Frage“ ein. Eine finanzielle Motivation scheide nachvollziehbar aus – zu klein die Auflage, zu groß die Spanne zwischen Aufwand und Ertrag. Nein, Limburg legt deutlich einen anderen Grund dar: „Weil der Verfasser hier ein Fremder ist.“ Weiter heißt es: „Da ich mit Frau und Kindern aus dem hessischen Wiesbaden in die Börde umgesiedelt war, drängte sich zwangsläufig die Frage auf, wo wir angekommen sind. Die Beantwortung muss natürlich die Geschichte eines Dorfes mit berücksichtigen. Es braucht den Leser nicht zu verblüffen – und es ist im Übrigen nichts Besonderes – dass sich ein Nichteinheimischer um die Vergangenheit seines neuen Lebensmittelpunktes mehr bekümmert als der Einheimische. Da er nämlich auf der Suche und deswegen wohl auch neugieriger ist, kann er ganz unbelastet, also fast objektiv, die Aufbereitung der dörflichen Geschichte angehen.“

Es war demnach die Faszination am Neuen allgemein – und im speziellen das, was Volker Limburg aus dem lange Verborgenen im Landgasthaus „Zum Alten Fritz“ wieder ans Licht bringen konnte. Er erklärt: „Wir hatten in Drackenstedt den ehemaligen Gemeindekrug gekauft, eines der ältesten Gebäude im Dorf, das wir dann über fünf Jahre hinweg restauriert haben. Dabei habe ich viele interessante Dinge gefunden. Im Kellergewölbe und in den Zwischendecken stieß ich unmittelbar auf die Spuren der Geschichte des Orts.“

Eine entscheidende ominöse Fundsache oder Begebenheit muss dabei gewesen sein, deren Wesen Limburg (noch) nicht enthüllen mag. „Warum mich dann aber eine unentrinnbare Faszination der Historie dieses Dorfes ergriffen hatte, bleibt das Geheimnis zweier Menschen, das zwischen einem (verstorbenen) Drackenstedter sowie eben mir als einem Zugewanderten geteilt und vielleicht erst zu gegebener Zeit offenbart werden wird“, gibt er dem Leser im Vorwort ein Rätsel auf.

Die Suche führte Volker Limburg zunächst ins örtliche Kirchenarchiv. Es sollte sich als reichhaltiges Fundament für die drei Bände erweisen: „Das Besondere hier ist, dass die Unterlagen bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, was nach meiner Erfahrung ein seltenes Glück in der Börde ist, denn in den meisten anderen Orten sind derlei Dokumentensammlungen durch Feuersbrünste im Zuge des Dreißigjährigen Krieges vernichtet worden.“ Weitere Anlaufstellen waren das Landeshauptarchiv oder das Börde-Museum wie auch versierte Zeitgenossen und – natürlich – das Internet. Unschätzbar hohen Wert für Limburgs Arbeit habe zudem das „Familienbuch Drackenstedt 1598 bis 1800“ von Kurt Bartels geliefert.

Für die Erstellung seiner Bücher hat Limburg aus allen Quellen einen mehr als hunderttausend Einträge umfassenden digitalen Datensatz konzentriert – wie das Druckwerk samt und sonders in Eigenregie. „Ich wollte niemand anderen mit dieser Arbeit belasten. Meiner Frau Anne habe ich nur zugemutet, dass ich mich abends und nachts immer an den Rechner setze – ihr sage ich daher für ihr Verständnis ganz besonderen Dank.“

 

„Drackenstedter Geschichte(n)“ im Blickpunkt

 

Der Autor

Volker Limburg, Jahrgang 1949, durchlief seine berufliche Ausbildung bei der niedersächsischen Polizei. Ab 1975 war er für das Bundeskriminalamt tätig. Anfang der 1990er wurde er Direktor des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt, wechselte später ins Innenministerium und war von 2000 bis 2012 Chef des Landesverfassungsschutzes. Das Hobby Regionalgeschichte der Magdeburger Börde hat er bereits 1998 für sich entdeckt, seitdem auch an den Bänden „Drackenstedter Geschichte(n)“ sowie weiteren Publikationen gearbeitet.

 

Das Werk

Die drei Bände umfassen insgesamt fast 1800 Seiten, wiegen zusammen gut 7 Kilogramm und sind ein Abbild von 450 Jahren Drackenstedter Dorfgeschichte. Limburg dokumentiert darin größtenteils Aufzeichnungen der Kirche, fasst kommunale Vorgänge wie auch menschliche Schicksale zusammen und listet aus der Kurrentschrift transkribierte Register auf.

 

Die Präsentation

Am Freitag, 12. August, wird Volker Limburg die Buchreihe im Rahmen eines literarisch-musikalischen Abends in der Drackenstedter Kirche öffentlich vorstellen. Beginn ist um 19 Uhr. Es können dann auch Bestellungen aufgegeben werden.

 

Foto: Volker Limburg (67) mit den drei Bänden „Drackenstedter Geschichte(n)“, die er nach 17-jähriger Arbeit fertiggestellt hat. Am 12. August stellt er das Werk in der Dorfkirche vor.

 

Text und Foto: Ronny Schoof - Volksstimme

 

 

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